Freund B, der gebetsmühlenartig wiederholte „don’t give up“, der ganz im Gegensatz zu mir in allem noch das Positive sehen wollte, resigniert. Er hat verstanden, dass die Afghan*innen sich nicht auf Hilfe von außen verlassen können, dass sie der Welt inzwischen wieder egal sind, und dass die meisten Versprechungen leer waren. Ich habe keine Lösung, weder für ihn, noch für seine Schwester.

Freund B und seine Familie, die einer strengen Auslegung des Islams anhängen und außerdem anscheinend überwiegend nach dem Paschtunwali leben, stehen den gemäßigten Taliban nahe. Aber sie sind auch realistisch, haben durchaus moderne Vorstellungen und Wünsche. Das Bildungsverbot für Frauen ist ihnen ein Dorn im Auge, sie wollen teilhaben an modernen Errungenschaften. Im Moment aber geht es ihnen nur ums Überleben. Diesen Winter, die Kälte, den Hunger. überleben.

Ich bin nicht einverstanden mit seiner Haltung gegenüber den Taliban. Meine Art zu leben entspricht nicht seinen Vorstellungen. Trotzdem versuchen wir, das Gespräch in Gang zu halten. Wenn nicht wir, wer denn dann?

7 Kommentare zu „

  1. „We agree to disagree“ fällt mir dazu ein. Ich lese diese Berichte über Gespräche mit Freund B immer gern, weil sie für mich ein positives Beispiel darstellen:
    Erstens den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen, trotz Differenzen wertschätzenden Umgang zu pflegen (davon gehe ich aus, auch wenn anklingt, dass es nicht immer einfach ist)
    und zweitens wird in seinen Ansichten auch immer mal wieder deutlich, dass er innerlich auch zerrissen ist von seiner Sozialisation her, dem Anhängen von Traditionen einerseits und der gesehenen Notwendigkeit von Änderungen.
    Liebe gnädige Frau, gern mehr davon.
    Viele Grüße aus dem relativen Norden
    Anja

    1. Ja, er ist wohl nicht der Hardliner, für den ich ihn anfangs gehalten hatte. Ich vermute, die jüngere Generation in Kabul versucht, die Traditionen mit einem moderneren Lebensstil zu vereinbaren. Das ist vermutlich nicht immer einfach. Freund B schätzt paschtunische Traditionen wie Gastfreundschaft und Großzügigkeit sehr. Übrigens sind es seiner Aussage nach die Frauen, die diese Traditionen pflegen.

  2. Vielen Dank für diese Innenansichten einer, für mich, fremden Welt.

    Es macht mir so große Gänsehaut, wie dort die Frauen und Mädchen wieder in der Versenkung verschwinden :-(

  3. Ich lese diese Beiträge auch immer sehr gern, weil es ein Brückenschlag ist. Ein Heraustreten aus seiner eigenen Blase in eine ganz andere Welt. Eine Kommunikation die bereichert und befremdet- Eine Kommunikation die sich in unbequeme Gefilde wagt.
    Danke dafür.

    1. Ich notiere diese Dinge hier, weil ich sie verarbeiten muss. Dass die Texte in letzter Zeit überwiegend positiv aufgenommen werden, macht mir Mut: vielleicht gehe ich demnächst mehr in die Tiefe. Mich fasziniert, wie B und seine Schwester versuchen, Tradition und Moderne zu verbinden und ihren ganz eigenen Weg zu gehen. Allerdings ist da immer das Dilemma: was kann ich erzählen, ohne indiskret zu sein? Wie kann ich es vermeiden, dass mein Blick exotisierend wirkt?

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